Mit körperlicher Betätigung lässt sich in der Krebs-Therapie für Heilung kämpfen. Schon moderater Sport vermindert das Krebs-Rückfallrisiko. Michael Poschmann nimmt Stellung.
Aktive Medizin
Bei jeder Erkrankung, schon gerade bei Krebs, steht die Frage im Zentrum, was der Patient selbst für seine Gesundheit tun und wie er die Heilung und Vorsorge vor Rückschlägen in die eigenen Hände nehmen kann.
Das ist nicht erst von Bedeutung, wenn die medizinischen Maßnahmen abgeschlossen sind, sozusagen als eine neue Etappe. Der Patient sollte in den Grenzen seines Krankheitsbildes so früh wie möglich aktiv in die Therapie einbezogen werden.
Bewegung und Sport bieten dabei im Besonderen die Möglichkeit, mit eigener Motivation an der Stärkung des körpereigenen Immunsystems mitzuwirken. Neuere Studien haben ergeben, dass körperliche Aktivität, gleich welcher Art, nicht nur zum Wohlbefinden beiträgt, sondern auch signifikant den Gesundungsprozess und damit auch das Rückfallrisiko senken kann.
Hier steht nicht mehr – wie bisher von vielen Medizinern propagiert – die physische Schonung im Vordergrund, sondern Bewegung und Sport. So reduziert laut einer Untersuchung von Ibrahim und Al-Homaidh (Oncology Center, International Medical Center, Saudi Arabien) bei Brustkrebs sportliche Betätigung nach der Diagnose die Sterblichkeit um 34 Prozent und das Rückfallrisiko um 24 Prozent. Die Darmkrebssterblichkeit vermindert sich laut einer Studie von Daniela Schmid und Michael Leitzmann (Universität Regensburg) um 28 Prozent. Beeindruckende Zahlen, die zeigen, dass schon moderate Aktivitätssteigerungen bei einer Krebserkrankung deutlich mehr bedeuten können, als nur Fitness und Zeitvertreib.
Die alte Befürchtung, körperliche Bewegung würde zu Metastasen führen und den therapeutischen Erfolg in Frage stellen, wird durch über hundert neuere Studien korrigiert. Nun lässt sich das statistische Ergebnis der erforschten Erkrankungsverläufe – meist Brust-, Darm- oder Prostatakrebs – selbstverständlich nicht einfach übertragen. Doch die positive, heilende Wirkung von Sport zeigt sich nachweislich auch bei anderen Krebserkrankungen.
Körper und Geist
Offen ist allerdings immer noch die Frage, wie die sportliche Bewegung positiven Einfluss auf den Krebspatienten nimmt. Zwar gibt es verschiedene Hypothesen und Annahmen darüber, welcher Anreiz von dem durch Bewegung aktivierten Stoffwechsel ausgeht, ob zum Beispiel antihormonelle Wirkungen initiiert, ob Einfluss auf Entzündungswerte und Immunfunktion genommen oder ob die Reparatur von Chromosomen durch Adrenalin angeregt werden. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass schon ein moderates Training von rund 150 Minuten pro Woche oder ein intensiveres Training von 75 Minuten – so die Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – nach einer Tumorerkrankung nicht nur für die biologischen Effekte empfehlenswert ist. Auch verschiedene psychische Aspekte wie die Stärkung des Selbstbewusstseins durch Eigeninitiative und die Bekämpfung von Erschöpfung, Antriebslosigkeit und Depression werden dadurch erfüllt.
Ausgenommen von der allgemeinen Empfehlung körperlicher Bewegung sind selbstverständlich Krankheitsverläufe, die Aktivitäten verbieten, die beispielsweise bei Metastasen im Knochen zu Brüchen führen oder nach Operationen einen gestörten Heilungsprozess nach sich ziehen könnten. Daher sollten vor sportlichem Engagement die behandelnden Ärzte konsultiert und die Physiotherapeuten zu Rate gezogen werden, um festzustellen, ob aus ärztlicher Sicht Bedenken gegen die Aktivmaßnahmen bestehen und wie sie sich gestalten sollten.
Da es durchaus sinnvoll ist, mit dem begleitenden Sport direkt nach der Diagnose zu beginnen und die Bewegungstherapie auch während der verschiedenen Therapiephasen beizubehalten, sollte die sportliche Betätigung an die verschiedenen Behandlungssituationen individuell angepasst werden.
Leistung und Erfolg
Relevante Faktoren sind nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch das Interesse des Patienten an bestimmten sportlichen Betätigungen. Vor allem letzteres ist wichtig, damit das Training konsequent beibehalten wird.
Dass hierbei nicht der Vergleich zum gesunden Sportler, sondern die eigenen Anforderungen entscheidend sind, versteht sich von selbst. Wer sich dauerhaft einer Selbstkontrolle unterwerfen will, findet im Smartphone einen sinnvollen Begleiter, mit dem sich Leistungsdaten protokollieren lassen. Speziell auf die Reduktion des Krebsrückfallrisikos durch Erreichung persönlicher Bewegungsziele ist beispielsweise die App Movival ausgerichtet, die es für iPhone, iPad oder Android-Smartphones und -Tablets gibt und auch mit einem Fitbit-Aktivitätentracker kombiniert werden kann.
Auch wenn solch ein elektronischer Assistent durchaus nützlich ist, um selbstgesteckte Ziele zu erreichen, so sollte der Patient doch vor allem von Personen, die sich damit auskennen, unterstützt werden. Von Krankenhaus über Reha-Klinik bis um Sportverein und der Selbsthilfegruppe reicht das Spektrum.
Sprungbrett ins Leben
Für den richtigen Anlauf zurück ins normale Leben fällt Reha-Kliniken eine wichtige Rolle zu. Die sportlichen Aktivitäten müssen individuell auf den Krebserkrankten und seine Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden. In der Rehabilitationsphase entwickelt die Klinik für den Patienten ein persönliches Trainingsprogramm. Denn auch wenn sich in der wissenschaftlichen Auswertung vor allem Kraft- und Ausdauertraining bewährt haben, sollte hieraus keine Standardlösung abgeleitet werden, sondern individuell für jeden Einzelnen ausgearbeitet und optimiert werden.
Dass es dabei individueller Trainingspläne bedarf, um das körperliche Aktivitätsniveau über Jahre stabil zu erhalten, ist auch eines der Ergebnisse der veröffentlichten Studie von Sportwissenschaftler Privat Dozent Dr. Freerk Baumann vom Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) an der Uniklinik Köln. Baumann, der die Studie in Kooperation mit Prof. Dr. Monika Reuss-Borst, ärztliche Koordinatorin der Reha-Zentren Bad Kissingen und Bad Mergentheim, sowie mit der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt hat, fasst zusammen: „Wir wissen jetzt: Wenn wir optimale und damit nachhaltige Effekte einer Bewegungstherapie erreichen wollen, dann müssen die Angebote personalisiert gestaltet werden. Darüber hinaus zeigt diese Studie einmal mehr, dass eine Reha wirkungsvoll und unverzichtbar ist – wenn sie denn richtig angewendet wird. Dahingehende Anpassungen im Rehabilitationssystem sind aus unserer Sicht notwendig.“
Das Spektrum der möglichen Bewegungsmaßnahmen ist weit, reicht von einfacher Gartenarbeit über Walken, Tanzen, Yoga und andere unangestrengte Aktivitäten über in Geschwindigkeit und Intensität variable Sportarten wie Laufen, Schwimmen oder Radfahren bis hin zu körperlichem Einsatz beim Tennis oder bei Mannschaftsportarten.
In spezialisierten Sportvereinen für Krebspatienten kommt zudem der hohe Wert der psychosozialen Ebene verstärkt zum Tragen: Der Zusammenhalt in einer Gruppe mit Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden, motiviert, gibt Halt und führt mit der Freude an Bewegung zu Regelmäßigkeit und Stressabbau.
Die Verbesserung der Kondition, als ein Resultat der körperlichen Aktivität, ist für ein positives Selbstwertgefühl optimal. Hinzu kommt auf der geistigen Ebene, dass man sich selbst wieder als leistungsfähig erlebt. Doch trotz dieser Erkenntnis ist die Zahl der Patienten, die sich bereits aktuell für eine bessere und dauerhafte Gesundung körperlich engagieren, erschreckend gering: Nicht einmal die Hälfte aller Krebspatienten ergreifen die Chance, selbst für die eigene Gesundheit zu sorgen. Hier bedarf es fundierter Aufklärung, empfehlende Leitlinien und dauerhafter Begleitung. Aufgaben, die in einem ausgeweiteten Rehabilitationsverfahren unter anderem von Reha-Kliniken erfüllt werden.