Notfallpraxis auf Patientenkosten: Ausdünnung der Notfallpraxen

Wenn Menschen sich nachts aufmachen, weil sie ärztliche Hilfe suchen, dann brauchen Sie diese in der Regel dringend. Auch wenn diese Not bisweilen auf einer subjektiven Einschätzung basiert, so ist sie nicht minder ernst. Wer dies nicht glaubt, braucht sich nur einmal nachts oder am Wochenende in eine der Notfallpraxen zu setzen, in denen Menschen auf ärztliche Versorgung warten, allein, bisweilen zu zweit und oft mit ihren Kindern, die sie begleiten.

Gerade wenn es um die Gesundheit ihres Nachwuchses geht, fühlen sich Eltern rasch hilflos und allein gelassen. Können Sie doch den Schmerz, der sich meist in Jammern, Weinen, schlimmer noch bisweilen in Verstummen äußert, nicht einschätzen. Hier ist der fachkundige Rat der Ärzte gleich doppelt gefordert: Einmal in der Behandlung der Kinder und zum zweiten in der Beratung der Eltern. Beides lindert Schmerz und heilt, zum einen die Krankheit oder Verletzung, zum anderen Sorge oder Aufregung. Bei beidem ist rasches Handeln angesagt.

Strukturelle Defizite

Handeln musste nun leider auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KV): Strukturelle Defizite der aktuellen Situation des Fahrdienstes, der die Notfalldienst-praxen ergänzt, aber auch rechtliche und honorarpolitische Gründe machen eine Notdienstreform aus Sicht der KV erforderlich. Das Resultat: Die KV reduziert im Landesteil Nordrhein nun deutlich die Anzahl der Notfallpraxen. Nur noch 41 Not-dienstpraxen haben Bestand. Somit werden über die Hälfte der bislang 84 Anlaufstellen für Kranke und Verletzte geschlossen. Ergänzt wird das Angebot durch insgesamt 15 kinderärztliche und jeweils acht HNO- und augenärztliche Notfall-dienstpraxen. Nun sind die Notfallpraxen nicht alleine, sondern ergänzen die Notaufnahmen und auch die Rettungsdienste der Krankenhäuser. Da aber nicht jede notwendige Behandlung gleich ein Notfall ist – zumindest nicht aus medizinischer Sicht-, und die Flächenversorgung auch für Zeiten vorgeschrieben ist, zu denen normalerweise praktizierende Ärzte Feierabend haben, kommt auch die KV an Notfallpraxen nicht vorbei.

Schwer zu überbrückendes Hindernis

Die Ausdünnung der Notfallpraxen ist zumindest eine – im eigentlichen Sinne des Wortes – fragwürdige Entscheidung angesichts einer Bevölkerung, deren Anteil an älteren und vor allem alten Menschen in den nächsten Jahren steigt. Dann werden lange Anfahrten zum schwer zu überbrückenden Hindernis, ein Kriterium, das auch für Kinder und Jugendliche gilt. Müssen Patienten für die Notfallversorgung zudem in die nächste Großstadt fahren, so kommt erschwerend hinzu, dass auf sie hier unbekanntes Terrain wartet. Das macht die Orientierung schwer und erhöht den Stressfaktor. So könnte die Reduzierung der Notfallpraxen einhergehen mit einer Verminderung ihrer Besuche, denn nicht jeder, der heute rechtzeitig den Weg zum Arzt wählt, hat dazu dann in Zukunft noch die Chance oder fühlt sich hierzu befähigt, vor allem wenn Beschwerden außerhalb der regulären Öffnungszeiten auftreten.

Keine gerechte Versorgung

Ob Notfallpraxen als Einsparungspotential auf Dauer tatsächlich helfen, Kosten zu senken, darf bezweifelt werden, einmal ganz abgesehen davon, ob es sozial verträglich ist, gerade die Schwächsten auszugrenzen. Denn dass es in der Mehrheit nicht jene treffen wird, die erfolgreich in der Mitte des Lebens stehen, versteht sich von selbst. Doch dies ist – genau wie Gesundheit – ein recht fragiles Konstrukt, auf das man – die Sozialverbände können dies bestätigen – keine gerechte Versorgung gründen kann. Dass gerade in Gegenden mit schwacher Infrastruktur flächendeckende ärztliche Versorgung teurer ist als in Ballungsräumen, darf kein Argument gegen Notfall-praxen, sondern müsste genau genommen ein Argument für sie oder ein ihr entsprechendes Äquivalent sein.

Notfallversorgung muss – dass ist eine Grundvoraussetzung für ihren Namen und ihre Aufgabe – im Notfall für alle in erreichbarer Nähe sein.

Dass keine weiten Wege zurückzulegen sind, ist aber auch unter einem sekundären Aspekt wichtig: Menschen, die verletzt oder erkrankt sind, sollten sich keinesfalls hinter das Steuer eines Wagens setzen, zumal sie oft schon Medikamente eingenommen haben, die nicht nur Schmerz lindern, sondern auch auf die ein oder andere Weise betäuben. Wer so Auto fährt, gefährdet sich und andere Verkehrsteilnehmer. Das aber gilt auch für Eltern, die ihre Kinder zum Notdienst bringen: Nicht nur die Angst, es könne etwas Ernstes sein, die ja Auslöser für die Fahrt ist, sondern auch das jammernde oder gar apathische Kind zehren an den Nerven des Fahrers. Und nicht immer ist jemand zugegen, der das Kind in den Arm nimmt, es hält und beruhigend mit ihm spricht. Ein Taxi zu nehmen, was der Situation angemessen wäre, übersteigt aber je nach Länge der Anfahrt die finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen, so dass der Griff zum Autoschlüssel nahe liegt. Kurz: Ärztliche Versorgung ist nur dann wirksam, wenn sie in Anspruch genommen werden kann. Hierzu gehört mehr als eine politische Aufrechnung von Seiten der Ministerien und finanzstatistischen Verteilung der Anlaufstellen auf Bevölkerung und Fläche. Nur wer da ist, wo er gebraucht wird, so Hilfe bietet, dass sie ohne Umstände und unnötige Hemmschwelle in Anspruch genommen werden, hilft im Notfall. Diese Regel gilt auch für Notfallpraxen. Wer hier spart, lässt die Patienten in ihrer Not allein.

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